Kevelaer Dez. 2022. Alkoholkranke setzen alles aufs Spiel, was ihnen eigentlich wichtig ist: Familie, Partnerschaft, Gesundheit und finanzielle Existenz. Vor 20 Jahren gründete Uwe Hoppmann in Kevelaer die Selbsthilfegruppe „Gemeinsam ohne Alcohol.“ Ein Jubiläum, auf dass er stolz sein kann ebenso wie auf seine eigene Abstinenz.
Das verkehrte „c“ im Gruppennamen diene der Aufmerksamkeit und dem Gespräch, was sich daraus ergibt, so Hoppmann im Generationenhaus der Ev. Kirchengemeinde Kevelaer. Dort nämlich trifft sich die Gruppe seit 20 Jahren. „Wir haben das als diakonische Aufgabe der Gemeinde erkannt und dem Wunsch nach Räumlichkeiten sofort entsprochen“, erinnert sich Pfarrerin Karin Dembek. Zwischen 5 Menschen am Anfang und über 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zählte die Gruppe in den vergangenen Jahren.
„Im Schnitt sind wir mit 15 Menschen aus Gemeinden des Südkreises, die jeden Montag ab 19:45 Uhr kommen“, sagt Hoppmann. Und erzählt, wie es ihm selbst ergangen ist. Irgendwann sagte seine Frau: „Wenn du nichts änderst, nehme ich den Sohn und gehe.“ Zwei Flaschen Schnaps trank der heute 65-Jährige damals am Tag. Dazu ein Berg Schulden. Es sei keine Frage des Verstandes gewesen, so Hoppmann, „ich wusste, ich mache da was komplett falsch“. Selbst nach vier Jahren Trockenheit wurde er einmal rückfällig. „Es kann für jeden Alkoholabhängigen Schicksalsschläge geben, wo er oder sie nicht mehr weiter weiß.“ Dann ist es gut, so eine Gruppe und direkte Ansprechpartner zu haben.
„Wichtig ist bei uns, dass wir auf Augenhöhe miteinander reden können. Wir wissen, wie es als Alkoholiker ist und wie es ist, Abstinenz durchzuhalten.“ Jeder kann zu den Stunden kommen, außer einem Vornamen braucht es erstmal nichts. Es wird Zeit gegeben, sich der Gruppe zu öffnen. Auch Ausflüge stärken den Zusammenhalt.
Die „Volksdroge Alkohol“ ist gesellschaftlich immer noch akzeptiert. Im Gegensatz zu Zigaretten, deren Konsum seit Jahren rückläufig ist und an vielen öffentlichen Orten verbannt wurde. „Zu meiner Jugendzeit verband man Alkoholismus nur mit dem Penner, der unter der Brücke lebt“, so Hoppmann. Tatsächlich trete Alkoholismus jedoch in allen Schichten und Altersgruppen auf. „Männer sind Gesellschaftstrinker, Frauen trinken eher heimlich“, ist Hoppmanns Beobachtung. Depressionen können dazukommen, verstärken den Teufelskreis.
Warum wird der eine ein Trinker, ein anderer aus der gleichen Clique nicht? Eine Gefahr liegt in der schleichenden Entwicklung der Krankheit. Keiner fängt mit zwei Flaschen Schnaps an. „Ich stand auf einmal morgens mit zittrigen Händen und geschwollenen Augen vor dem Spiegel und fragte mich: Was ist aus dir geworden?“ Wenn schon morgens der Gedanke aufkommt: wann und wo kannst du heute trinken? Spätestens dann sei Hilfe nötig, so Hoppmann. Viele Trinker denken bis zum Absturz: „Ich kann jederzeit aufhören.“ Sogar eine Fastenzeit, 7 Wochen nach Karneval, konnte Hoppmann prima ohne durchhalten – weil Ostern ein nahes Ziel war.
„Gemeinsam ohne Alcohol“ wird von Diakonie, Caritas und anderen Kooperationspartnern begleitet", erzählt Hoppmann. „Stephan Gnoß von der Suchtberatung der Diakonie besucht die Gruppe regelmäßig.“ Gnoß helfe auch im Bereich Familienberatung weiter – denn eine Sucht betrifft nie nur den Süchtigen. Eine Gruppe wie „Gemeinsam ohne Alcohol“ kann natürlich keine Therapie ersetzen. Aber für die Zeit danach ist sie sinnvoll. „Auch mich erinnert sie daran, dass da etwas ist, was ich nie wieder erleben will“, schildert der Gruppengründer.
Im Dezember feiert die Gruppe das Jubiläum und eine Weihnachtsfeier – in Corona-Zeiten in kleinem Rahmen – aber wichtig zu feiern ist es trotzdem.
Veröffentlichung der Diakonie im Kreis Kleve, Dez. 2022
"Das erste Bier schmeckte überhaupt nicht."
Selbsthilfegruppe "Gemeinsam ohne Alcohol" existiert in diesem Jahr seit 20 Jahren
Uwe Hoppmann hatte wenig Chancen, als er vom Alkohol verführt wurde. Mit 14 Jahren war er, wie viele andere Jugendliche in diesem Alter auch, noch in der Selbstfindungsphase und drohte seine eigene Zukunft zu verbauen. Doch er hat gekämpft und gesiegt und klärt nun mehr mit der Selbsthilfegruppe "Gemeinsam ohne Alcohol" über die Folgen des Suffs auf. Die hatte er selbst vor 20 Jahren gegründet.
Im familiären Lebensmittelhandel stand der junge Uwe allem, was Prozente beinhaltete, automatisch ganz nah: "Es war ja selbstverständlich, dass ich als junger Mann so oft es ging im Geschäft meiner Eltern geholfen habe." Gerade in Stoßzeiten vor den Feiertagen war jede Hilfe gefragt: "Nachdem wir einmal das Ostergeschäft bewältigt hatten, kam ein Mitarbeiter auf mich zu und meinte, dass wir uns jetzt alle ein schönes Feierabendbier verdient hätten." Gesagt, getan, getrunken.
Uwe Hoppmann erinnert sich genau: "Das erste Bier meines Lebens! Mit 14! Aber das schmeckte mir überhaupt nicht." Aber er erinnert sich auch an die damalige (und heutige) Rolle des Alkohols: Immer und leicht verfügbar, gesellschaftlich ein wichtiges Kulturgut, ein Muss bei jeder Gelegenheit und Bestandteil vieler "Rituale" wie Geburtstags-, Jubiläums- und sonstiger Feierlichkeiten: "Feiern ohne Alkohol gab und gibt es nicht, er war immer dabei. Früher ist man sogar betrunken Auto gefahren."
Die Wirkung war es, die es damals auch Uwe Hoppmann angetan hatte: "Alkohol lockerte. Wenn man gut drauf war, steigerte man sein Gefühl, wenn man schlecht drauf war, entspannte man damit." Aufklärung über die verheerenden Folgen von übermäßigem Alkoholkonsum gab es nicht, die Folge: Mit 15 Jahren hatte Uwe Hoppmann seinen ersten "Filmriss", die Gelegenheiten häuften sich, der Alkoholkonsum auch. "Und irgendwann war es einfach nur noch egal, es gab immer einen Grund zu trinken", so der Issumer. Als ihn seine erste Frau 1983 aufgrund der Trinkerei verließ, merkte Uwe Hoppmann erstmals, dass etwas passieren musste. Gesundheitliche Probleme kamen hinzu, sodass er "die Entscheidung seines Lebens" traf: Entzug! Nach dem Klinikaufenthalt in Idar-Oberstein fühlte sich Uwe Hoppmann sehr gut: "Ich war wie neugeboren!" Auf eine anschließende Langzeittherapie glaubte er noch verzichten zu können. Doch es kam anders: Bei einem Weihnachtsfest mit den Eltern wurde ihm ein Bier gereicht, und wollte er den Wunsch "wenigstens ein Glas" mitzutrinken, nicht abschlagen. Die Sucht-Spirale begann von Neuem ...
Es folgte der zweite Entzug, diesmal mit anschließender Langzeittherapie. Familiär und beruflich ging es danach aufwärts, bei seinem Arbeitgeber, den US-Streitkräften stieg er zum Leiter der Dienststelle im US-Depot in Twisteden auf, er heiratete wieder, war rundum zufrieden mit vier Kindern und seiner Existenz. Bis Uwe Hoppmann bei einer Radtour wieder ein Bier in die Hand gedrückt bekam...
"Trotz der Langzeittherapie fing ich wieder an", erinnert er sich. Ganze 13 Jahre lang dauerte dieser Zustand, bis er vor der größten Krise seines Lebens stand: "Meine Frau wollte sich von mir trennen, ich stand sowohl beruflich als auch finanziell vor dem Aus. "
Über Umwege ließ er sich in der Landesklinik in Bedburg-Hau stationär aufnehmen, durchlebte erneut den Entzug und schwor sich, von da an "alles umzukrempeln": "Ich wollte mein Leben komplett ändern." Erstmals wurde Uwe Hoppmann auf Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker, Kreuzbund und andere aufmerksam: "Doch das war nicht mein Ding, das war mir zu durchorganisiert." Seine Frau brachte ihn schließlich auf die Idee eine eigene Gruppe zu gründen...
Bei der Evangelischen Jesus Christus Kirchengemeinde in Kevelaer fand Uwe Hoppmann die entsprechenden Räumlichkeiten für einen möglichen Treff und am 3. Dezember 2001 konnte er loslegen: "Unser erstes Gruppentreffen fand damals zu fünft statt!" Mittlerweile besteht die Selbsthilfegruppe "Gemeinsam ohne Alcohol" aus 22 Mitgliedern, von denen 15 mehr oder minder regelmäßig an den Montagstreffen teilnehmen, um dort Erfahrungen auf Augenhöhe auszutauschen, Informationen zu teilen, Strategien zur Problembehandlung entwickeln. "Man braucht Menschen, die das Problem verstehen, denn einmal abhängig bedeutet immer abhängig", weiß Uwe Hoppmann. Denn die Sucht wirke sich nicht nur körperlich auf den Menschen aus, sondern vor allem psychisch, sagt er: "Alleine und ohne fachliche Begleitung schafft man es nicht, denn der Alkohol ist gesellschaftlich anerkannt. Es gibt immer Gelegenheiten Alkohol zu trinken, beim Frühschoppen nach der Kirche, in Kundengesprächen, nach Feierabend und so weiter. "
Die Selbsthilfegruppe "Gemeinsam ohne Alcohol" ist eine komplexe Gemeinschaft, bestehend aus allen sozialen Schichten und verschiedenen Lebensläufen wie Uwe Hoppmann weiß: "Es ist vom Arbeiter bis zum Akademiker alles dabei". Er selbst bietet aufgrund seiner eigenen Geschichte regelmäßig Info-Veranstaltungen vor allem für Jugendliche an und findet dort regelmäßig "aufmerksame Zuhörer": "Statistisch gesehen kommen Jugendliche im Alter von 14 Jahren erstmals in den Kontakt mit Alkohol."
Das 20-jährige Bestehen der Selbsthilfegruppe soll beim ersten Gruppenabend im Dezember mit Gästen aus verschiedenen unterstützenden Einrichtungen und Begleitern wie die Caritas, Diakonie und Therapeuten thematisiert werden. Bei der Weihnachtsfeier am Montag, 20. Dezember, soll das 20-jährige unter den Mitgliedern begangen werden. Die Weihnachtsfeier soll eine Gelegenheit sein, allen Mitgliedern und Unterstützern für deren Engagement zu danken.
Uwe Hoppmann glaubt, dass die Pandemie mit ihren Kontaktbeschränkungen die Ursache für ein höheres Aufkommen von Rückfällen bei Alkoholkranken war und ist. Aus diesem Grund hofft er, dass es mit Blick auf die steigenden Inzidenzen nicht soweit kommt, dass Gruppentreffen aufgrund neuer Corona-Bestimmungen wieder abgesagt werden müssen: "Die Menschen dürfen nicht allein gelassen werden."
Veröffentlichung Kevelaerer Blatt Dez. 2022